Aufgewachsen in alkoholkranker Familie

„Wir glaubten nicht im Entferntesten daran, dass die Erfahrungen, die wir als Kinder machten, auch unser Leben als Erwachsene beeinträchtigen würden.“

„Erwachsene Kinder“ sind Menschen, die in einem Elternhaus aufgewachsen sind, in dem der Alkohol regierte. Im Gegensatz zu Erwachsenen, die nicht aus einer Alkoholiker-Familie stammen, haben diese Menschen auffallend häufig Probleme in ihren eigenen Partnerschaften, mehr Schwierigkeiten damit zu vertrauen, sich selbst zu finden, Wünsche zu äußern oder sich abzugrenzen.

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Erfahrungsberichte

Ich fand Unterstützung und Verständnis

Es ist klar, dass Al-Anon’s Hauptanliegen darin besteht den Familien und Freunden von Alkoholikern zu helfen. Wenn ich darüber nachdenke, wie mir geholfen wird, antwortet mein Herz, dass ich mich entfalten konnte. Damit meine ich, dass man mir zuhörte, dass ich geliebt, verstanden, akzeptiert, unterstützt und ermutigt wurde, während ich die schwersten Lektionen des Lebens lernte. Lektionen, die ich, aufwachsend in einer alkoholkranken Familie, wahrscheinlich nie hätte lernen können.

Durch die Liebe, Güte und Geduld der Al-Anon Gemeinschaft habe ich viel über das Geben und Empfangen bedingungsloser Liebe, Annahme, sich ergeben, mich um mich selbst kümmern, Glaube, Vertrauen und Hoffnung gelernt. Indem ich immer weiter im Al-Anon Programm wachse, finde ich, dass Zufriedenheit und sogar Glück einen realen Teil meines Lebens ausmachen. (Tina)

Hoffnung – und eine neue Sicht auf meine Probleme

Ich verlasse stets mein Al-Anon Meeting in dem Gefühl ein neuer Mensch zu sein. Auch wenn ich völlig erschöpft und zerschlagen dort ankomme. Ich habe keine Ahnung, was genau diese Verwandlung auslöst, ich weiß nur, dass sie passiert und ich mit einem Lächeln im Gesicht fortgehe, einem neuem Blickwinkel und Hoffnung für die kommenden Tage.

Ich erinnere mich an ganz andere Zeiten in meinem Leben. In unserem Zuhause gab es nicht viel Platz für Hoffnung. Ich war an Enttäuschungen gewöhnt, an gebrochene Versprechen. Ich fürchtete mich davor nach Hause zu gehen, weil ich nie wusste, was mich dort erwartete. Würde ich der Schiedsrichter zwischen meiner Mutter und meinem Vater sein? Oder würden wir auf Zehenspitzen laufen, um meinen Vater nicht aufzuwecken, der schon auf der Couch bewusstlos schläft?

Mein Vater starb – allein – mit 65 Jahren. Es war sehr traurig und ich war lange Zeit wütend. Mein Vater war ein Jahr lang trocken, bevor er einen Rückfall baute. Ich war so enttäuscht. Wie konnte er mir das antun? Warum konnte er sich nicht für Nüchternheit entscheiden? Erst bei Al-Anon lernte ich, dass er an einer Krankheit litt, die er sich nicht ausgesucht hatte, ebenso wenig, wie er mir absichtlich wehtun wollte. Es hat lang gedauert, bis ich aufhören konnte wütend zu sein. Ich verstehe, dass Wut die erste Stufe der Trauer ist und es keine Regeln oder Gesetzmäßigkeiten gibt, wie lange diese Stufe andauert, bis wir zum nächsten Schritt kommen. So wie bei Al-Anon: keine Regeln, nur Prinzipien, einige Empfehlungen und ganz viel Hoffnung. (Alex)

Verstehen, wie das Trinken meines Vaters mich in der Wahl meiner Partner beeinflusste…

Ich trennte mich von meinem ersten Mann wegen seines Verhaltens beim Trinken. Ein Pastor empfahl mir, zu Al-Anon zu gehen, aber ich dachte, mein Mann müsse nur aufhören zu trinken und alles wäre wieder gut.

Später war ich wieder von einem Mann angezogen, dessen Trinkverhalten mich ebenfalls belastete. Wir lebten einige Jahre zusammen und heirateten schließlich. Inzwischen verstärkte sich sein Trinken und damit alle üblichen Begleiterscheinungen.

Völlig verzweifelt erschien ich an der Tür von Al-Anon, wissend dass es mir helfen würde, die Auswirkungen dieser Krankheit zu überwinden. Was ich nicht erkannte war, dass der Alkoholismus meines Vaters, Großvaters und Onkels sich auch auf mich auswirkte. Die Reaktionen meiner Mutter auf deren Trinkverhalten hatten den größten Einfluss auf meine Unfähigkeit, damit umzugehen.

Ich kam zu Al-Anon, gab meine Sturheit auf, öffnete mich und hab es seitdem nicht einen Tag bereut. Die Zustimmung die mich empfing, eröffnete mir den Weg zur Genesung, ein Weg mit Höhen und Tiefen, aber eindeutig zu einem besseren, gelassenerem Leben. (Susanne)

Therapeut erklärt die Auswirkung von Sucht

Paula und Tim kamen in die Therapie, um an ihrer Beziehung zu arbeiten. Paula war eine typische Fürsorgerin; das mittlere Kind in einer chaotischen Familie. Der Vater trank, die Mutter versteckte. Nie mit ihrem eigenen Leben klargekommen, konzentrierte sie sich ganz auf Tim. Tim dachte nicht im Traum daran, sich von irgendjemand bevormunden zu lassen. Als ältester Sohn zweier Alkoholiker, ließ er sich nicht reinreden. Sie griff ihn an und er rächte sich. Irgendwie blieben sie dennoch zusammen. In Sitzungen beklagte sie: „Ich leiste die ganze Arbeit in dieser Beziehung. Sie sollten mal sehen, wie gemein er ist.“ Daraufhin erwiderte er scharf: „Niemand würde sich mit ihren Beschwerden herumplagen.“ Ich lächelte und fragte: „Immerhin seid ihr hier und nach 10 Jahren immer noch zusammen. Ziemlich merkwürdig, dass ihr beide weiterhin an einer solch verletzenden Beziehung festhaltet, findet ihr nicht?“

Eigentlich ist es überhaupt nicht verwunderlich für jemanden, der sich mit Alkoholismus auskennt. Kinder aus alkoholkranker Familie hegen keine hohen Erwartungen an Beziehungen. Jahrelanges Leugnen oder Bagatellisieren der beängstigenden Unbeständigkeit ihrer Eltern, haben erwachsene Kinder von Alkoholikern zu Überlebenskünstlern werden lassen. Wirkliches Aufblühen ist unvorstellbar für sie. Vertrautheit, Intimität ist beängstigend, weil sie fürchten ihre Fehler würden zum Vorschein kommen.

Dennoch, diese beiden liebten sich, wenn auch auf seltsame Weise; sie ergänzten sich, indem sie sich zerrissen. Man kann das den Tanz des Leugnens nennen oder einfach die Haltung die sie gelernt haben, indem sie Zeugen solchen Rollenverhaltens geworden sind. Beide, Paula wie Tim sahen ein, dass sie das makabre Leben ihrer Eltern lebten. Sie wussten nur nicht, wie es zu durchbrechen. Indem sie zugaben, dass sie nichts zu verlieren hätten, stimmten sie zu, zu Al-Anon zu gehen.

Was sie nicht wussten war, wie viel sie zu lernen hatten. Während eine Therapie sie aufklären könnte, befähigte sie dagegen nur ein gegenseitiges Selbsthilfeprogramm wie Al-Anon dazu, sich mit anderen zu verbinden. Obwohl sie sich unterschieden, waren sie nicht allein.

Paula kam zu der Einsicht, dass die Liebe zu jemand nicht bedeutete, ihn zu ändern oder Beschimpfungen und Missbrauch ertragen zu müssen. Auf sich selbst zu besinnen und auf ihrer Seite der Straße zu bleiben, wurden ihre beiden Mottos. Tim begann sich von der tief sitzenden „wütenden Opfer-Rolle“ zu befreien. Beide begannen langsam zu schätzen, dass sie bei Al-Anon genau die Hoffnung und Ermutigung erhielten, die sie als Kinder vermisst haben. Nun geben sie sich diese Hoffnung und Ermutigung gegenseitig. Das ist doch wahrhaftig ein sich gegenseitiges Ergänzen und ist obendrein auch therapeutisch.